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Mittwoch, 2. Dezember 2015

2. Dezember


Als Oma heute Morgen Ole wecken wollte, saß dieser doch tatsächlich schon wieder mit seinem Buch da und buchstabierte. Diesmal saß er in der Küche am Tisch und hatte eine dampfende Tasse Kaffee neben sich stehen. „Du bist ja schon wach. Wie kommt denn das? Sonst schläfst du doch immer lange und meckerst, wenn ich dich wecken komme.“ fragte sie erstaunt. „Das Buch ist schuld! Gestern Abend kamen nach der ersten Geschichte nur noch leere Blätter. Das ist so gemein gewesen! Ich hab nicht schlafen können vor lauter Ärger.“ Ole war ehrlich entrüstet und hielt Oma das Buch vor die Nase. „Da, schau selber: jetzt ist die zweite Geschichte lesbar und danach? Nix! Nur weiße, leere Blätter! Die Englein wollen mich zanken.“  Oma rückte ihre Brille zurecht, nahm das winzige Buch in die Hand und begann vorsichtig, die Seiten umzublättern. „Tatsächlich! Leere Seiten….sehr sonderbar. Darüber muss ich bei einer guten Tasse Kaffee gründlich nachdenken. Komm, wir gehen in die Küche und frühstücken erst einmal.“ Gerade in dem Moment, als sie Ole die Hand hinhielt, damit sie ihn in die Küche tragen konnte, ertönte ein leises Klingeln aus dem Wohnzimmer. Ole, der schon fast auf Omas Hand geklettert war, sprang wieder in die Küche zurück und rief: „ Das werden sie sein!“ Oma ließ die Hand wieder sinken und schaute ihm ungläubig nach. Man konnte förmlich sehen, wie sie überlegte, was geklingelt haben könnte und wer „die“ wohl sein könnten. Verdutzt beobachtete sie, wie Ole zu seinem Wohnzimmertisch flitzte, etwas silberne in die Hand nahm und dann rief: „ Ole Nisser hier, wer da?“

 Der hat ein Handy! schoss es Oma durch den Kopf und sie überlegte krampfhaft, wo er das wohl herhaben könnte. Fasziniert lauschte sie einem Schwall dänischer Worte, die aus Ole hervorsprudelten wie aus einem Brunnen.  In ihre Gedanken hinein drang nur ein „Tak for besked og glæder mig. Hilsen og knus.“ Dann warf Ole das Handy wieder achtlos auf den Couchtisch und kam zu ihr zurück. Omas fragender Blick auf das Telefon rief bei ihm ein schlechtes Gewissen hevor. ”Ups, hatte ich dir das nicht gesagt? Lovis hat es mir gegeben, damit wir ab und an telefonieren können. praktisch, so ein Ding. Erspart Briefe und so.” „Erspart also Briefe? Aber mich hast du gestern zur Post geschickt, du Schlingel. War dir wohl zu teuer, nach Dänemark anzurufen,was?” Nun war Ole aber ehrlich entrüstet. ” Aber Oma, was denkst du denn von mir? Meine Freunde dort auf dem Klit haben kein Telefon. Sie wohnen in einem der Ferienhäuser unter dem Küchenfußboden und die wenigstens dieser Häuser haben einen Telefonanschluss.Ich hab ihnen gestern im Brief geschrieben, das sie mich anrufen können von unterwegs und sie haben es tatsächlich geschafft! Sie sind schon auf dem Weg nach hier. Sie haben sich in einen Fisch-LKW geschlichen und der hat Telefon. Der Anruf kam aus Padborg, kurz vor der Grenze. Da musste der Fahrer mal kurz aussteigen wegen irgendwelchem Papierkram. Scheinen kluge Nisser zu sein, die wissen sich zu helfen. Aber nun hab ich wirklich Hunger!” Er rieb sich den Bauch und trat ans Balkongeländer, damit Oma ihn in die Küche tragen könnte. Die trug ihn dann, wie jeden Morgen, in ihre Küche, servierte ihm Himbeermarmelade auf einer winzigen Brotscheibe und setzte sich zu ihm.Dann sprang sie wieder auf und eilte zur Kaffeemaschine. Frühstück ohne Kaffee oder Tee ging ja mal gar nicht. Als sie sich endlich wieder an den Tisch setzte, hatte Ole sein Brot schon restlos verputzt. Er beobachtete sie, wie sie lange und ausgiebig in ihrem Kaffee rührte und dabei ihr Kinn massierte. Wie immer dauerten Omas Überlegungen ihm zu lange und so fragte er in die Stille hinein: „Was ist denn nun mit den leeren Seiten im Buch? Hast du herausgefunden, was mit damit  los ist? Nun sag doch schon was Oma!“   Sie sah ihn an und verscheuchte ihre Tagträumereien von Nissern, die in Fischen versteckt in die Eifel reisten und  stinkend vor ihrer Türe stehen würden. Das Buch! Sie hatte es total vergessen und versuchte nun rasch die Erklärung herauszufinden. „ Ole, ich denke, es ist ein Spezialbuch, gemacht von Englein für allzu neugierige Trolle und Nisser. Es hat viele Seiten, aber du kannst nur die lesen, die für den Tag gelten, der im Kalender steht und die vorherigen auch. Das ist wie mit den Socken am Treppengeländer: wenn du vorher schauen willst, verschwinden die Geschenke ja auch.“ „Dann sind deine Englein gemein! Wo ich doch so gern weiterlesen will. Die wissen wohl immer alles über uns und ich weiß nix über sie. Das ist ungerecht.“  Oma grinste und sagte nichts. Damit musste er nun wohl oder übel leben. Sie führte ihre Tasse zum Mund und nahm den letzten Schluck Kaffee daraus. Als sie das Gesicht verzog, lachte Ole aus vollem Halse: „ Schon wieder kalter Kaffee! Wünsch dir doch vom Christkind eine Warmhaltetasse, wie der Opa sie im LKW hat.“  „Das werde ich tun! Gute Idee! Muss ich mir gleich aufschrieben, sonst hab ich das wieder vergessen.“ Schnell war der Notizblock hervorgeholt und das Wort Thermobecher aufgeschrieben. Dann aber kam Oma noch einmal auf die Adventsgäste zu sprechen: „Nun sag mir doch mal, was sind das für Leute, die du da eingeladen hast und weißt du schon, wann sie ankommen?“ Ole atmete tief durch und setzte zu einer langen Rede an: „ Die sind total nett, wohnen das Jahr über in dem Ferienhaus und für den Advent suchen sie sich immer ein Haus, wo sie warm und trocken wohnen können mit Kost und Logis. Ich hatte den Eindruck, das sie für Kravlenisser ein wenig aus der Art geschlagen sind. Nett, höflich, keine Flausen im Kopf und sehr hilfsbereit. Aussehen tun sie auch ein irgendwie anders als gewohnt. Mich erinnern sie an schwedische Tomtenisser. Aber das werden wir schon herausfinden.“  „ Tomte? Aus Schweden? Das wärs noch! Solche habe ich als Kind in Büchern gesehen und mir immer gewünscht, mal welchen zu begegnen.“ Ole strahlte, als er merkte, dass Omas Bedenken so langsam schwanden. Doch nun wurde es Zeit, dass er Oma ihre Adventsaufgabe stellte, er wollte die Kravlenisser würdig vertreten. Er stellte sich in Positur hinter seinen Stuhl und sagte: „Oma, deine heutige Tagesaufgabe ist es, mir neue Bettwäsche zu nähen für die Gäste und herauszufinden, womit die Hausleute im Norden ihre Nisser und Tomte am Weihnachtsabend verwöhnen. Ich werde in der Zeit mal meinen Balkon weihnachtlich verzieren und danach weiter im Adventskalender lesen.“ Verschmitzt lächelnd teilte Oma ihm mit, das sie genau wisse, was das traditionelle Essen der Nisser und Tomte am Weihnachtsabend ist und nähen könne sie erst, wenn sie in der Stadt Stoff besorgt habe, der auch zur Weihnachtszeit passe. Sie wollte am Nachmittag sowieso noch in den Stoffladen und dort dürfe er dann aussuchen, was passend sei. Anscheinend war sie noch beleidigt wegen der Blümchentapete, die er gestern abgelehnt hatte.  Ole setzte seinen Dackelblick auf und säuselte: „Ach liebste Omi, du machst das schon richtig. Ich kann nicht mitkommen, ich muss mit Leo Möbel schieben und Platz schaffen für die Gäste. Gardinen wird Emilia mir nähen. Ich hab ja in Dänemark von der Lisbeth eine wunderprächtige Nähmaschine bekommen. Emilia wartet nur darauf, dass ich ihr Stoff bringe.“ Mit diesen Worten war er aus ihrer Küche verschwunden. Oma schüttelte den Kopf und dachte: Typisch Mann, die arme Emilia soll sich an der alten Tretnähmaschine abmühen, während die beiden Herren sich mit dem Verschieben einiger Möbel begnügen. Dem würde sie abhelfen. Sie erledigte rasch den Abwasch, steckte sich ein wenig Geld ein und winkte im Vorbeigehen Ole zu, der mittlerweile auf einer Leiter stand und unter Ächzen und Stöhnen mit einer grünen Girlande kämpfte, die wohl sehr widerspenstig war und partout nicht an seinem Balkon befestigt werden wollte. 


„Bin bald zurück.“ sagte sie und war auch schon aus der Haustüre heraus. Ole rief laut nach Leo und mit vereinten Kräften versuchten sie es noch einmal. Emilia kam aus ihrer Küche und meinte: „Soll ich euch gleich eine leckere Suppe bringen, wenn ihr fertig seid? Bei der Gelegenheit kann ich mir auch gleich deine Fenster anschauen und mir Gedanken machen, wie ich die Gardinen  zuschneiden muss, wenn Oma mit dem Stoff kommt.“ Die Zwei waren begeistert und der Gedanke an eine leckere Suppe ließ sie mit frischem Elan an ihre Arbeit gehen. Der Nachmittag verging wie im Flug und als Opa nach Hause kam, saßen die Nisser in Oles Küche um den Tisch herum und hatten gerade ihre Suppe verputzt. 

Opa lobte die Girlande am Haus und setzte sich mit der Tageszeitung an seinen eigenen Küchentisch. Er war gerade beim Lokalteil angelangt, als  die Haustüre klappte eine Stimme rief: „Bin wieder da!“ Aus der Küche ertönte Opas Stimme: „ Hallo Schatz, da bist du ja. War es schön in der Stadt? Alles bekommen?“ „Nein, leider nicht alles.“ antwortete Oma ein wenig traurig. „ Es gibt in der ganzen Stadt keinen Weihnachtsstoff mit kleinen Mustern. Emilia, ich muss den Stoff bestellen, du kannst heute leider noch nicht nähen.“ Ein dreistimmiges: „ Schade!“ erklang aus Oles Haus und die drei dort sahen sich traurig an. Opa schaute von seiner Zeitung auf und meinte: „ Für neue Gardinen ist es sowieso zu früh. Ihr solltet erst einmal fertig  sein mit renovieren. Wann kommen die Gäste denn eigentlich?“ Ole erzählte ihm von dem Anruf aus Padborg und Opa grinste. „Kluge Leutchen, deine Freunde. Padborg also? Das sind noch 600 km ungefähr bis zu uns. Vorm Wochenende werden die wohl nicht hier sein. Wer weiß, wo der Kollege abladen muss und wann sie wieder eine solche Mitfahrgelegenheit finden. Wir haben also noch ein wenig Zeit, bis sie hier sind.“ Damit war die Sache für ihn erledigt und die Nisser mussten sich wohl übel darauf beschränken, weiter im Haus herum zu werkeln und dabei darüber zu diskutieren, wer wo schlafen solle. Oma machte Abendrot und Opa las seine Zeitung in Ruhe zu Ende, bevor er selbst in seinem Adventskalender nachschaute, was er wohl heute darin finden würde. Nach dem Abendessen rieb Opa sich den Bauch und stöhnte: „Warum kochst du nur immer so gut, Schatz? Das wird heut nix mehr mit Anstreichen im Flur. Ich kann mich nicht mehr bücken, weil mein Bauch so voll ist.“  Im Puppenhaus wurde gekichert und Ole rief: „ Kennen wir……Emilias Suppe war auch so gut, das wir jetzt nur noch aufs Sofa gehen können. Morgen ist auch noch ein Tag. Guten Nacht ihr zwei.“


4 Kommentare:

  1. Das ist eine zauberhafte Idee! Ich liebe diese Puppengeschichten und freue mich auch sehr an Deinen Bildern.

    Liebe Grüße zu Dir!
    Erika

    PS: Rheinischer Reibekuchen, hmm, den hätte ich heute Mittag gerne :)

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    1. Freut mich sehr, da es dir gefällt. vielen Dank fürs Feedback

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  2. Das ist eine zauberhafte Idee! Ich liebe diese Puppengeschichten und freue mich auch sehr an Deinen Bildern.

    Liebe Grüße zu Dir!
    Erika

    PS: Rheinischer Reibekuchen, hmm, den hätte ich heute Mittag gerne :)

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