2. Dezember
Als Oma heute Morgen Ole wecken
wollte, saß dieser doch tatsächlich schon wieder mit seinem Buch da und
buchstabierte. Diesmal saß er in der Küche am Tisch und hatte eine dampfende
Tasse Kaffee neben sich stehen. „Du bist ja schon wach. Wie kommt denn das?
Sonst schläfst du doch immer lange und meckerst, wenn ich dich wecken komme.“
fragte sie erstaunt. „Das Buch ist schuld! Gestern Abend kamen nach der ersten
Geschichte nur noch leere Blätter. Das ist so gemein gewesen! Ich hab nicht
schlafen können vor lauter Ärger.“ Ole war ehrlich entrüstet und hielt Oma das
Buch vor die Nase. „Da, schau selber: jetzt ist die zweite Geschichte lesbar
und danach? Nix! Nur weiße, leere Blätter! Die Englein wollen mich zanken.“ Oma rückte ihre Brille zurecht, nahm das winzige
Buch in die Hand und begann vorsichtig, die Seiten umzublättern. „Tatsächlich!
Leere Seiten….sehr sonderbar. Darüber muss ich bei einer guten Tasse Kaffee
gründlich nachdenken. Komm, wir gehen in die Küche und frühstücken erst einmal.“
Gerade in dem Moment, als sie Ole die Hand hinhielt, damit sie ihn in die Küche
tragen konnte, ertönte ein leises Klingeln aus dem Wohnzimmer. Ole, der schon
fast auf Omas Hand geklettert war, sprang wieder in die Küche zurück und rief: „
Das werden sie sein!“ Oma ließ die Hand wieder sinken und schaute ihm ungläubig
nach. Man konnte förmlich sehen, wie sie überlegte, was geklingelt haben könnte
und wer „die“ wohl sein könnten. Verdutzt beobachtete sie, wie Ole zu seinem
Wohnzimmertisch flitzte, etwas silberne in die Hand nahm und dann rief: „ Ole
Nisser hier, wer da?“
Der hat ein Handy! schoss es Oma durch den Kopf und sie
überlegte krampfhaft, wo er das wohl herhaben könnte. Fasziniert lauschte sie
einem Schwall dänischer Worte, die aus Ole hervorsprudelten wie aus einem
Brunnen. In ihre Gedanken hinein drang nur ein „Tak for besked og glæder mig. Hilsen
og knus.“ Dann warf Ole das Handy wieder achtlos auf den Couchtisch und
kam zu ihr zurück. Omas fragender Blick auf das Telefon rief bei ihm ein
schlechtes Gewissen hevor. ”Ups, hatte ich dir das nicht gesagt? Lovis hat es
mir gegeben, damit wir ab und an telefonieren können. praktisch, so ein Ding.
Erspart Briefe und so.” „Erspart also Briefe? Aber mich hast du gestern zur
Post geschickt, du Schlingel. War dir wohl zu teuer, nach Dänemark
anzurufen,was?” Nun war Ole aber ehrlich entrüstet. ” Aber Oma, was denkst du
denn von mir? Meine Freunde dort auf dem Klit haben kein Telefon. Sie wohnen in
einem der Ferienhäuser unter dem Küchenfußboden und die wenigstens dieser Häuser
haben einen Telefonanschluss.Ich hab ihnen gestern im Brief geschrieben, das
sie mich anrufen können von unterwegs und sie haben es tatsächlich geschafft! Sie
sind schon auf dem Weg nach hier. Sie haben sich in einen Fisch-LKW geschlichen
und der hat Telefon. Der Anruf kam aus Padborg, kurz vor der Grenze. Da musste
der Fahrer mal kurz aussteigen wegen irgendwelchem Papierkram. Scheinen kluge
Nisser zu sein, die wissen sich zu helfen. Aber nun hab ich wirklich Hunger!”
Er rieb sich den Bauch und trat ans Balkongeländer, damit Oma ihn in die Küche
tragen könnte. Die trug ihn dann, wie jeden Morgen, in ihre Küche, servierte
ihm Himbeermarmelade auf einer winzigen Brotscheibe und setzte sich zu ihm.Dann
sprang sie wieder auf und eilte zur Kaffeemaschine. Frühstück ohne Kaffee oder
Tee ging ja mal gar nicht. Als sie sich endlich wieder an den Tisch setzte,
hatte Ole sein Brot schon restlos verputzt. Er beobachtete sie, wie sie lange
und ausgiebig in ihrem Kaffee rührte und dabei ihr Kinn massierte. Wie immer
dauerten Omas Überlegungen ihm zu lange und so fragte er in die Stille hinein: „Was
ist denn nun mit den leeren Seiten im Buch? Hast du herausgefunden, was mit
damit los ist? Nun sag doch schon was
Oma!“ Sie sah ihn an und verscheuchte ihre
Tagträumereien von Nissern, die in Fischen versteckt in die Eifel reisten und stinkend vor ihrer Türe stehen würden. Das
Buch! Sie hatte es total vergessen und versuchte nun rasch die Erklärung herauszufinden.
„ Ole, ich denke, es ist ein Spezialbuch, gemacht von Englein für allzu
neugierige Trolle und Nisser. Es hat viele Seiten, aber du kannst nur die
lesen, die für den Tag gelten, der im Kalender steht und die vorherigen auch.
Das ist wie mit den Socken am Treppengeländer: wenn du vorher schauen willst,
verschwinden die Geschenke ja auch.“ „Dann sind deine Englein gemein! Wo ich
doch so gern weiterlesen will. Die wissen wohl immer alles über uns und ich
weiß nix über sie. Das ist ungerecht.“ Oma grinste und sagte nichts. Damit musste er
nun wohl oder übel leben. Sie führte ihre Tasse zum Mund und nahm den letzten
Schluck Kaffee daraus. Als sie das Gesicht verzog, lachte Ole aus vollem Halse:
„ Schon wieder kalter Kaffee! Wünsch dir doch vom Christkind eine
Warmhaltetasse, wie der Opa sie im LKW hat.“
„Das werde ich tun! Gute Idee! Muss ich mir gleich aufschrieben, sonst
hab ich das wieder vergessen.“ Schnell war der Notizblock hervorgeholt und das
Wort Thermobecher aufgeschrieben. Dann aber kam Oma noch einmal auf die
Adventsgäste zu sprechen: „Nun sag mir doch mal, was sind das für Leute, die du
da eingeladen hast und weißt du schon, wann sie ankommen?“ Ole atmete tief
durch und setzte zu einer langen Rede an: „ Die sind total nett, wohnen das Jahr
über in dem Ferienhaus und für den Advent suchen sie sich immer ein Haus, wo
sie warm und trocken wohnen können mit Kost und Logis. Ich hatte den Eindruck,
das sie für Kravlenisser ein wenig aus der Art geschlagen sind. Nett, höflich,
keine Flausen im Kopf und sehr hilfsbereit. Aussehen tun sie auch ein irgendwie
anders als gewohnt. Mich erinnern sie an schwedische Tomtenisser. Aber das
werden wir schon herausfinden.“ „ Tomte?
Aus Schweden? Das wärs noch! Solche habe ich als Kind in Büchern gesehen und mir
immer gewünscht, mal welchen zu begegnen.“ Ole strahlte, als er merkte, dass Omas
Bedenken so langsam schwanden. Doch nun wurde es Zeit, dass er Oma ihre
Adventsaufgabe stellte, er wollte die Kravlenisser würdig vertreten. Er stellte
sich in Positur hinter seinen Stuhl und sagte: „Oma, deine heutige Tagesaufgabe
ist es, mir neue Bettwäsche zu nähen für die Gäste und herauszufinden, womit
die Hausleute im Norden ihre Nisser und Tomte am Weihnachtsabend verwöhnen. Ich
werde in der Zeit mal meinen Balkon weihnachtlich verzieren und danach weiter
im Adventskalender lesen.“ Verschmitzt lächelnd teilte Oma ihm mit, das sie
genau wisse, was das traditionelle Essen der Nisser und Tomte am
Weihnachtsabend ist und nähen könne sie erst, wenn sie in der Stadt Stoff besorgt
habe, der auch zur Weihnachtszeit passe. Sie wollte am Nachmittag sowieso noch
in den Stoffladen und dort dürfe er dann aussuchen, was passend sei.
Anscheinend war sie noch beleidigt wegen der Blümchentapete, die er gestern
abgelehnt hatte. Ole setzte seinen Dackelblick auf und säuselte: „Ach liebste Omi, du machst das schon richtig.
Ich kann nicht mitkommen, ich muss mit Leo Möbel schieben und Platz schaffen
für die Gäste. Gardinen wird Emilia mir nähen. Ich hab ja in Dänemark von der
Lisbeth eine wunderprächtige Nähmaschine bekommen. Emilia wartet nur darauf, dass
ich ihr Stoff bringe.“ Mit diesen Worten war er aus ihrer Küche verschwunden. Oma
schüttelte den Kopf und dachte: Typisch Mann, die arme Emilia soll sich an der
alten Tretnähmaschine abmühen, während die beiden Herren sich mit dem
Verschieben einiger Möbel begnügen. Dem würde sie abhelfen. Sie erledigte rasch
den Abwasch, steckte sich ein wenig Geld ein und winkte im Vorbeigehen Ole zu,
der mittlerweile auf einer Leiter stand und unter Ächzen und Stöhnen mit einer grünen
Girlande kämpfte, die wohl sehr widerspenstig war und partout nicht an seinem Balkon
befestigt werden wollte.
„Bin bald zurück.“ sagte sie und war auch schon aus
der Haustüre heraus. Ole rief laut nach Leo und mit vereinten Kräften
versuchten sie es noch einmal. Emilia kam aus ihrer Küche und meinte: „Soll ich
euch gleich eine leckere Suppe bringen, wenn ihr fertig seid? Bei der
Gelegenheit kann ich mir auch gleich deine Fenster anschauen und mir Gedanken
machen, wie ich die Gardinen zuschneiden
muss, wenn Oma mit dem Stoff kommt.“ Die Zwei waren begeistert und der Gedanke
an eine leckere Suppe ließ sie mit frischem Elan an ihre Arbeit gehen. Der
Nachmittag verging wie im Flug und als Opa nach Hause kam, saßen die Nisser in
Oles Küche um den Tisch herum und hatten gerade ihre Suppe verputzt.
Opa lobte
die Girlande am Haus und setzte sich mit der Tageszeitung an seinen eigenen
Küchentisch. Er war gerade beim Lokalteil angelangt, als die Haustüre klappte eine Stimme rief: „Bin
wieder da!“ Aus der Küche ertönte Opas Stimme: „ Hallo Schatz, da bist du ja.
War es schön in der Stadt? Alles bekommen?“ „Nein, leider nicht alles.“
antwortete Oma ein wenig traurig. „ Es gibt in der ganzen Stadt keinen
Weihnachtsstoff mit kleinen Mustern. Emilia, ich muss den Stoff bestellen, du
kannst heute leider noch nicht nähen.“ Ein dreistimmiges: „ Schade!“ erklang
aus Oles Haus und die drei dort sahen sich traurig an. Opa schaute von seiner
Zeitung auf und meinte: „ Für neue Gardinen ist es sowieso zu früh. Ihr solltet
erst einmal fertig sein mit renovieren. Wann
kommen die Gäste denn eigentlich?“ Ole erzählte ihm von dem Anruf aus Padborg
und Opa grinste. „Kluge Leutchen, deine Freunde. Padborg also? Das sind noch
600 km ungefähr bis zu uns. Vorm Wochenende werden die wohl nicht hier sein. Wer
weiß, wo der Kollege abladen muss und wann sie wieder eine solche Mitfahrgelegenheit
finden. Wir haben also noch ein wenig Zeit, bis sie hier sind.“ Damit war die
Sache für ihn erledigt und die Nisser mussten sich wohl übel darauf beschränken,
weiter im Haus herum zu werkeln und dabei darüber zu diskutieren, wer wo
schlafen solle. Oma machte Abendrot und Opa las seine Zeitung in Ruhe zu Ende,
bevor er selbst in seinem Adventskalender nachschaute, was er wohl heute darin
finden würde. Nach dem Abendessen rieb Opa sich den Bauch und stöhnte: „Warum
kochst du nur immer so gut, Schatz? Das wird heut nix mehr mit Anstreichen im
Flur. Ich kann mich nicht mehr bücken, weil mein Bauch so voll ist.“ Im Puppenhaus wurde gekichert und Ole rief: „
Kennen wir……Emilias Suppe war auch so gut, das wir jetzt nur noch aufs Sofa
gehen können. Morgen ist auch noch ein Tag. Guten Nacht ihr zwei.“
Das ist eine zauberhafte Idee! Ich liebe diese Puppengeschichten und freue mich auch sehr an Deinen Bildern.
AntwortenLöschenLiebe Grüße zu Dir!
Erika
PS: Rheinischer Reibekuchen, hmm, den hätte ich heute Mittag gerne :)
Freut mich sehr, da es dir gefällt. vielen Dank fürs Feedback
LöschenDas ist eine zauberhafte Idee! Ich liebe diese Puppengeschichten und freue mich auch sehr an Deinen Bildern.
AntwortenLöschenLiebe Grüße zu Dir!
Erika
PS: Rheinischer Reibekuchen, hmm, den hätte ich heute Mittag gerne :)
Gute Idee, könnte ich glatt noch mal machen ;-)
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