4. Dezember
Spät war es gestern geworden, bis Opa endlich mit den
Gästen kam. Sehr spät, wie Ole fand. Er
hatte nicht mehr ruhig sitzen können und war dann auf die Idee gekommen, die
dritte Geschichte in seinem Adventskalender zu lesen. Ihm fiel auf, das Oma
noch gar nicht gebacken hatte und er nahm sich vor, sie danach zu fragen, wann
sie das wohl tun wolle. Emilia hatte fleißig weiter genäht und dann mit Leo die
Gardinen im Gästezimmer aufgehängt, während Oma eine neue Bettdecke gemacht
hatte. Dann meinte sie: „ Sagt mal, was kochen wir denn für die Gäste? Habt ihr
eine Idee?“ „Scholle! Die mögen sie bestimmt. Mist, ich hab ja meine letzte der
Möwe gegeben, was mach ich denn nun?“ „Deutsches Essen natürlich, was
Rheinisches zum Beispiel“, war Leos Kommentar dazu. „ Ich könnte noch mal
Bratkartoffel mit Speck vertragen und Gürkchen von Oma dazu.“ und so war es
beschlossene Sache. Oma sollte kochen für alle, weil ja jeder noch was zu tun
hatte. Oma zog eine Augenbraue hoch und seufzte. „Dachte ich es mir doch, es
bleibt an mir hängen.“ Ole legte sein Buch zur Seite und rief, so laut er
konnte: „ Oma, du kochst ja auch am allerbesten.“ So also ging Oma in ihre
Küche, Emilia nähte noch ein paar Kissen und Leo und Ole beschlossen, es müsse
ein größerer Tisch ins Esszimmer. Sie stiegen auf den Dachboden und kramten so
lange herum, bis sie etwas Passendes gefunden hatten. Als sie gerade mit dem
letzten Teil angeschleppt kamen, hörte Ole den Schlüssel in der Haustüre
quietschen und ließ einfach den Stuhl fallen, den er gerade trug. „Sie kommen,
sie kommen! Opa ist da!“ Er stürzte zum Balkongeländer und winkte wie verrückt:
„ Hier sind wir! Willkommen im Adventshaus.“ Opa kam zur Türe herein, hörte Ole
rufen und grummelte: „Darf ich erst mal richtig reinkommen, bevor ich meine
Fahrgäste aus ihrer Behausung herauslasse?“Gemächlich ging er zur Garderobe, grinste
und hängte seine Jacke auf. Ole hüpfte auf dem Balkon herum, man hätte denken
können, er steht auf glühenden Kohlen. Endlich öffnete Opa seine Arbeitstasche und sagte freundlich:
„Alles aussteigen. Zielort erreicht. Willkommen in der Eifel meine Herrschaften.
Es herrschte gespannte Ruhe im Flur, selbst Oma hatte im Türrahmen der Küche Aufstellung genommen
und lauschte gespannt. Man hörte ein Rascheln und Kichern in der Tasche und
dann kamen drei rote Zipfelmützen zum Vorschein. Ole war über die Leiter vom
Balkon heruntergestiegen und laut:
„Endlich endlich!“ rufend tanzte er um Opas Füße herum. die roten Zipfelmützen
schoben sich über den Rand der Tasche hinaus und man konnte drei Köpfe sehen.
Drei Nisserköpfe schauten sich vorsichtig um und als sie Ole entdeckten,
stiegen sie ganz heraus. Oma schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „ Die
sind ja viel zu leicht angezogen, morgen sind die sicher krank.“ Ole meinte
nur, er würde sofort einheizen im Kamin und die Drei schüttelten den Kopf. Das Mädchen in der
Mitte schaute zu Ole hinüber und erklärte dann mit leiser Stimme: „ Uns ist
nicht kalt geworden, die LKWs waren gut geheizt und wir haben von dem Mann da
Tee bekommen. Alles ist gut.“ Oma war zur Tasche geeilt und hielt den Dreien
ihre Hand entgegen, damit sie keine Kletterpartie machen mussten, um in Oles
Haus zu kommen. Zögernd traten sie dann auch wirklich nacheinander auf ihre
Hand und wurden vorsichtig zum Puppenhaus getragen. Dort hatte Emilia schon den
Tisch gedeckt und zur Feier des Tages das gute Porzellan hervor geholt.
Unsicher standen die Gäste in der Stube und erst, als Ole sie nacheinander
umarmt hatte und sie sanft zum Tisch schob, nahmen sie dort Platz.
Oma zog Opa
hinter sich her in die Küche und meinte: „Lassen wir die Nisser erst mal unter
sich sein. Morgen werden wir sicher mehr über sie erfahren. Sie sind bestimmt
müde und wollen gleich ins Bett. „Du hast Recht, Schatz, sie sind müde und ich
bin hungrig. Was gibt es denn Gutes zu
Abend heute?“ Oma lachte: „ Das Gleiche wie bei Nissers. Leo hat sich
Bratkartoffel mit Speck und Gürkchen gewünscht für die Gäste.“ „Ich mag Leo,
der hat gute Ideen“. grinste Opa und setzte sich an den Tisch. Alle ließen es
sich schmecken und dann hörte Oma, wie im Puppenhaus die Betten aufgeteilt wurden
und es kehrte Ruhe ein.
Opa war, wie immer, früh zu Bett
gegangen und Oma hatte noch eine Weile den Nissern beim Schlafen zugesehen,
bevor sie selbst auch zu Bett ging.
Als sie heute Morgen aufstand, fand sie auf
dem Küchentisch eine Holztruhe vor, die sie noch nie gesehen hatte. Ob das ein
Geschenk von der heiligen Barbara war? Vorsichtig griff sie danach und wollte
sie gerade öffnen, als aus dem Flur vom Puppenhaus her ein lautes:“Finger weg!“
ertönte und sie zusammenzucken ließ. Sie zog ihre Hand zurück und ging in den
Flur. Dort stand einer der Nisserjungs auf dem Balkon und schaute sie böse an.
„Was machst du da mit unserer Reisetruhe? Die gehört uns und du darfst sie
nicht öffnen!“ Omas zerknirschtes: „ Entschuldige bitte, ich habe gedacht, es
sei ein Geschenk der heiligen Barbara an mich, weil es über Nacht auf dem
Küchentisch erschienen ist. Heute ist Barbaratag und da findet man kleine
Geschenke, zumindest hier in der Eifel.“ Bevor sie weiterreden konnte, rief Ole
aus seinem Badezimmer: „ Ja, und sie verschenkt Blumen, die nicht blühen. Naja,
jedenfalls heute noch nicht.“ Der kleine Nisser sah fragend von einem zum
anderen und Ole meinte, das sie ein tolles Gesprächsthema fürs Frühstück. Oma
nickte und deckte in der Küche für sich und die Nisser das Frühstück ein. Nach
einer Weile meldete sich Ole aus dem Puppenhaus mit den Worten: „Wir wären dann
soweit, Oma, du kannst uns abholen.“ Das ließ Oma sich nicht zweimal sagen. Sie
flitze zum Puppenhaus und nahm in jede Hand je drei Nisser, um sie in die Küche
zu bringen. Dort setzte sie alle vorsichtig auf dem Tisch ab und wartete
darauf, was geschehen würde. Als niemand ein Wort sagte, stellte Oma sich mit
vor mit den Worten: „Dann mach ich den Anfang: Ich bin die Oma und Ole nennt
uns seine Hausleute, weil uns das Haus gehört, in dem er jetzt wohnt. Das da
sind Leo und Emila, die habt ihr ja schon gestern kennen gelernt und wer der
Frechdachs dort ist, muss ich wohl kaum erklären. Den kennt ihr ja schon seit
dem Sommer.“ Ole sah Oma entrüstet an und rief: „ Ich bin kein Frechdachs, ich
bin ein Nisser, die müssen so sein!“ Da endlich meldete sich die kleine
Nisserdame zu Wort: „Guten Morgen Frau Oma, ich bin die Lisbeth und komme wie
die anderen hier aus Dänemark. Der Herr in Blau ist mein Mann Mads und der vorlaute
Kerl im Hemd ist mein Bruder Anders. Wir sind auf Einladung von Ole zu ihnen
gekommen und bedanken uns herzlich für den netten Empfang gestern Abend und
auch für das leckere Essen. Das war genau so gut wie zu Hause das Biksemad.“
Oma sah mehrfach von einem zum anderen und versuchte, sich die Namen
einzuprägen. Sie griff nach ihrem ersten Brötchen, schmierte ein wenig Butter
darauf und murmelte immer wieder: „Mads, Lisbeth, Anders….“ Auch die Nisser, einschließlich Leo und
Emilia sprachen dem Frühstück ordentlich zu und als alle satt waren, war es
wieder einmal Ole, der seine Neugierde nicht zügeln konnte. „Was habt ihr denn
nun in der Kiste und wie ist die auf den Tisch gekommen? Wir haben doch alle
geschlafen.“ Mads rieb sich das Kinn und sagte dann: „ Das kann nur der Mann
gewesen sein, den du Opa nennst. Die Kiste hatten wir in seiner Tasche verstaut
und ich denke, er hat sich erst heute Nacht, als er zur Arbeit musste, daran
erinnert. In der Kiste sind übrigens unsere Weihnachtsgeschenke drin, drum
durftet ihr nicht ran. Ich hoffe, ihr versteht das?“ „Geschenke? Für uns?“
Wieder war es Ole, der vorlaut diese Frage stellte. Oma schüttelte tadelnd den
Kopf. „Ole Nisser, ich frage mich wirklich, ob du das jemals in den Griff
bekommst mit deiner Neugier. Du könntest glatt ein Kravlenisser wie die Drei
dort, die mir aber irgendwie viel zu gut erzogen vorkommen. Ich habe soviel
gehört über diese Kravlenisser, das es mir Angst und Bange wurde, als du sie
angekündigt hast.“ Anders, der bis jetzt still am Tisch gesessen hatte, erhob
sein dünnes Stimmchen und widersprach Omas Worten: „Liebe Frau Oma, wir sind
keine echten Kravlenisser, da hat Ole etwas falsch verstanden. Unsere Familie
gehört den schwedischen Tomten an und ist aus Versehen mit einem Postschiff
nach Jütland gekommen. Seit dem leben wir dort und tun unser Bestes, den Ruf
der Nisser zu verbessern.“ „Tomte seid ihr? Wie wundervoll! Ich wollte immer
schon gerne welche kennenlernen, seit ich als Kind von ihnen gelesen habe.
Willkommen in unserem Haus. Und habt keine Scheu, es mir zu sagen, wenn
ihr irgendwelche Wünsche habt oder etwas fehlt im Haus. In meiner Sammlung im
Bastelzimmer gibt es sicher eine Menge Kram, den ihr gut gebrauchen könnt.“
Anders sah sie erstaunt an und fragte dann: „Haben sie auch Spielzeug für
Nisserkinder?“ Lisbeth trat unter dem Tisch nach ihm und sein lautes: „Aua,
warum trittst du mich?“ ließ Oma schmunzeln. Ein wenig Nisserblut schien dieser
kleine Tomte doch zu haben, wenn man nach dem vorlauten Mundwerk ging. Sie begann
damit, den Tisch abzuräumen und fragte dann ganz allgemein: „Muss ich noch
jemandem behilflich sein beim Einrichten im neuen Zuhause oder kann ich mich um
den Plätzchenteig für morgen kümmern?“ Freudig rief Ole: „Nee, nee, Oma, mach
du mal schön den Teig und wir helfen den Tomten, damit wir morgen alle zusammen
backen können.“ Mads bat Oma noch darum, die Kiste ins Haus zu bringen, weil
sie so schwer sei und dann ging jeder einer Arbeit nach. Jedenfalls hatte Oma
sich das so gedacht bis zu dem Moment, als im Flur lautes Jubelgeschrei
ertönte. Natürlich wieder mal von Ole und kurz darauf auch von Anders. Als sie
fragend um die Ecke schaute hielt Ole einen ganzen Arm voll Schokolade in die
Höhe und rief: „Oma, die Barbara war da und hat uns dieses Jahr Schokolade
gebracht. Genau sechs Tafeln, für jeden eine. Die weiß aber auch alles, deine
Barbara.“
Oma lächelte und nickte, bevor sie wortlos wieder in der Küche
verschwand, um ihren Teig zu Ende zu kneten. Dabei lauschte sie den munteren
Gesprächen in der Puppenstube und freute sich schon darauf, was die Tomte ihr
im Laufe des Monats so alles erzählen würden. Nett jedenfalls waren sie, das
musste man ihnen lassen.
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