17. Dezember
Der
Tag hatte begonnen wie immer, nun ja fast wie immer. Oma wollte die Zeitung aus
dem Kasten holen und bei einer Tasse Kaffee das Neueste aus dem Städtchen
erfahren. Sie zog also die Zeitung aus dem Kasten heraus und wunderte sich
gleich darauf, dass die heute ungewöhnlich schwer war. Irgendetwas war in die
Zeitung eingewickelt.
Vorsichtig trug sie ihren Fund zum Küchentisch und wickelte
die zusammengerollte Zeitung auf. Ein Päckchen kam zum Vorschein. Buntes Packpapier
mit der Aufschrift: Für die Nisser! umhüllte etwas Unförmiges. Vorsichtig
stellte sie das Päckchen mitten auf dem Tisch ab. Die Nisser bekamen Geschenke
ohne Absender! Sollte es sich herumgesprochen haben, dass sie Nisser im Haus
hatte? Ein wenig unangenehm war ihr dieser Gedanke nun doch. Sie genoss es zwar
sehr, die kleinen Wesen im Haus zu haben, aber sie befürchtete schon, dass man sie
ein wenig belächeln würde deswegen. Oder war der Absender des Geschenks einfach
nur neugierig, weil draußen am Haus die Nissertüre ihm verraten hatte, dass eventuell
welche im Haus sein könnten?
Sie saß immer noch grübelnd am Küchentisch, als
Ole wie aus dem Nichts auf dem Küchentisch stand, sie frech angrinste und dann
bedeutungsvoll auf ihre Kaffeetasse sah. „Der ist garantiert wieder mal kalt,
Oma! Ich steh jetzt schon eine ganze Weile hier und du hast immer weiter in der
Tasse gerührt, ohne zu trinken. Warum nur machst du das immer wieder?“ Oma probierte
den Kaffee, verzog das Gesicht sagte: „Ja, kalt und eklig! Warum ich das mache?
Ich muss nachdenken. Ihr habt ein Geschenk ohne Absender bekommen. Das kommt
mir spanisch vor, wie man so sagt.“ Oles erstauntes: „Ein Geschenk? Für uns
Nisser? Das ist ja toll! Bin gleich wieder da, hole schnell die anderen alle.“ war nur halb zu verstehen, weil er schon im Flur angekommen war bei dem Wort „alle“.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er seine Freunde geweckt hatte und gemeinsam
mit ihnen in der Küche erschien. Neugierig umringten sie das Päckchen.
Schließlich fasste sich Bente Nissermorfar ein Herz und begann vorsichtig, das
Papier zu öffnen. Etwas Rotes schaute hervor. Er roch daran und stellte trocken
fest: „ Schokolade!“ Da drängelten sich die jüngeren Nisser einschließlich Ole
näher heran und riefen wie aus einem Mund:“ Julklapp! Julklapp! Das ist ein
Julklapp!“ Oma schaute von einem zum anderen. Von so etwas hatte sie ja noch
nie gehört. „ Was ist denn ein Julklapp?“ Alle redeten durcheinander und
schließlich musste Oma lautstark um Ruhe bitten. Sie hatte kein einziges Wort
verstanden und war genau so klug wie vorher. Sie schaute alle nacheinander an
und entschied dann, dass Magrete Nissermormor wohl am geeignetsten sei, ihr das
Wort zu erklären. „Lasst doch bitte mal
Magrete reden. Sie wird es mir schon erklären können.“ Magrete nickte und
begann: „Der Julklapp ist eine nordische Tradition im Advent. Es werden
Geschenke in den Raum geworfen oder hinterlassen und niemand erfährt, von wem
das Geschenk kommt. Du kannst also gut und gerne noch fünf Tassen Kaffee
kaltrühren und wirst immer noch nicht wissen, wo die Schokolade herkommt.
Übrigens würde ich gerne sehen, welche Form die Schokolade hat. Vielleicht kann
man daraus Rückschlüsse ziehen auf die Herkunft. Aber ich sags euch gleich: In
99 Prozent der Fälle kriegt man nicht raus, wo der Julklapp herkommt. Freut
euch drüber und lasst ihn euch einfach schmecken.“ Bente pflichtete seiner Frau
bei und entfernte nun das Papier ganz von dem Geschenk. Da stand nun ein rotes
Pferdchen auf dem Tisch, das verführerisch nach Schokolade roch.
„Ein Dalarna
Pferd!“ jubelte Anders und streichelte liebevoll über das Pferdchen. Oma
betrachtete das Tierchen nun ein wenig genauer und fragte dann: „Ist das also
so eines, wie du in Holz schon besitzt? Dieses winzige Teil, wo man eine Lupe
bracht, um zu sehen, wie schön es ist?“ „Ja Oma! Genau so eins ist das. Die
kommen aus Schweden. Dort kennt sie jedes Kind und mein Hölzernes ist noch vom
Urgroßvater. Es begleitet unsere Familie überall hin.“
„Papperlerpapp! Das da ist aus Schokolade“,
rief Ole und wollte schon die rote Umhüllung öffnen, als Anders bitterlich
anfing zu weinen.“ „Nicht! Bitten nicht
aufessen! Es ist so schön. Können wir es nicht bis zum Weihnachtsabend aufheben?
Ich möchte es noch ein paar Tage lang betrachten, bevor es aufgefuttert wird!“
Lisbeth nahm ihren Sohn tröstend in den Arm und sah die übrigen Nisser fragend an. Alle nickten
mit ihren Köpfen und so musste auch Ole auf sein ungesundes Frühstück
verzichten. Oma trug das
Schokoladenpferdchen zum Puppenhaus und stellte es dort hin, wo es hingehörte:
In den Stall. Das Wort „Gemeinheit“ aus Oles Mund überhörte sie dabei großzügig
und ging in die Küche, um sich einen neuen Kaffee zu kochen. Nachher sollten
ihre Enkel kommen und da würde sie sicher keine Zeit mehr haben für die Lektüre
ihrer Zeitung. Sie begann also damit, den Lokalteil zu lesen und staunte nicht schlecht,
als sie dort einen Artikel über Wichtel, Nisser Tomte und Gnome fand. Es wurde
erklärt, das überall auf der Welt die Kinder an diese Wesen glauben, die dem
Christkind, dem Weihnachtsmann oder Julmand oder Santa Claus, wie auch immer
der Gabenbringer genannt wird, bei der Herstellung und Verteilung der Geschenke helfen. Der Artikel war sehr
lang und lehrreich, besonders für eine Oma wie sie, die Nisser beherbergte. So
erfuhr sie auch, dass man in Skandinavien den Nissern und Tomten am
Weihnachtsabend eine Schüssel Reisbrei vors Haus stellt zum Dank dafür, dass
sie das ganze Jahr heimlich für Ordnung gesorgt haben. „ Oweh! Reisbrei? Ob man
dafür ein besonderes Rezept braucht? Ich glaube, ich muss mal rasch nach
Ringkøbing telefonieren. Meine Freundin dort kann mir da sicher helfen.“ Und
schon hatte sie die Zeitung zusammengefaltet und griff nach dem Telefon.
Selbstverständlich konnte die Freundin helfen. Sie wunderte sich überhaupt
nicht darüber, dass Oma danach gefragt hatte. Es schien dort absolut normal zu
sein, diese Tradition hoch zu halten. Oma musste also noch einmal in die Stadt
und einkaufen. Dabei konnte sie auch gleich das Fleisch besorgen, dass ihre
Freundin ihr als traditionelles Julaftensmad empfohlen hatte. Ihre Kinder
würden sich dieses Jahr sehr wundern, wenn es solch fremdes Essen geben würde,
aber ihr war einfach danach. Die Nisserdamen würden ihr sicher behilflich sein,
damit auch alles gelänge. Lisbeth und Nissermormor boten sich an, sie zum Metzger
zu begleiten, damit sie auch wirklich das Richtige kaufen könne und so durften
die Kinder heute mit den Männern im Keller werkeln, währen de Frauen die
Zutaten fürs Weihnachtsessen einkauften. Nur Emilia wollte nicht mit. Sie
sagte, sie wolle Ole bitten, ihr den Bus zu leihen, damit sie zu Onkel Waldemar
fahren könne. Der hatte gestern angerufen und mitgeteilt, der eifler Weihnachtsschinken
sei fertig geräuchert und könne abgeholt werden. Irgendwie hatte Oma den Eindruck, dass die Tage immer viel zu kurz waren für all die Vorbereitungen,
die so eine skandinavische Weihnacht mit sich brachte. Sie seufzte, bat die
Nisserdamen, in ihre Handtasche
einzusteigen und fuhr dann zum Metzger ins Nachbardorf. Dort sollte sie wohl
alles bekommen können, was die Nisserdamen für nötig hielten. Es war ihr zwar
ein Rätsel, wie sie es bewerkstelligen sollte, dass die Beiden alles sehen und
ihr Ratschläge geben konnten, ohne selbst entdeckt zu werden. Aber das war ihr
nun auch egal. Irgendwie würde das schon klappen.
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